KMU-Bewertung.info

View Original

Realoptionsansatz

Ein komplementärer Ansatz zu den üblichen Bewertungsmethoden


Der Realoptionsansatz ist eine relativ neue und moderne Methode zur Bewertung von Investitionsvorhaben und Unternehmen. Die Kernaussage des Realoptionsansatzes ist, dass unprofitable Investitionen durch pro-aktives Handeln und neu gewonnene Erkenntnisse profitabel werden können. Ziel dieser Bewertungsmethode ist eine monetäre Feststellung dieser Handlungsflexibilität.

Von den Verfechtern des Realoptionsansatzes wurde regelmäßig die starre Zukunftsplanung der Unternehmensbewertungsmethoden auf Basis von Barwertkalkülen kritisiert, da diese davon ausgehen, dass getroffene Investitionsentscheidungen nicht mehr verändert werden können. Da Unternehmen in der wirtschaftlichen Realität jedoch eine Vielzahl an Handlungsmöglichkeiten und Entwicklungschancen besitzen, wird der Realoptionsansatz als Ergänzung zu den Unternehmensbewertungsmethoden auf Basis von Barwertkalkülen gesehen. Die Bewertung von Investitionsentscheidungen soll die DCF-Verfahren nicht ersetzen, sondern dient vielmehr als komplementärer Ansatz, der vor allem dann zur Anwendung kommt, wenn das Bewertungsobjekt großes Potential an Handlungsmöglichkeiten aufweist und sich in einem relativ unsicheren Marktumfeld bewegt. Da Realoptionen dieselben Merkmale wie Finanzoptionen aufweisen, können sie auch ähnlich bewertet werden.

Grundlagen Optionstheorie

An den Finanzmärkten werden Optionen in verschiedenen Varianten gehandelt. Unter einer Option versteht man Kontrakte, die für den Käufer (Stillhalter) das Recht, aber nicht die Pflicht verbriefen, einen Optionsgegenstand (z.B.: Aktien, Devisen, Terminkontrakte) zu einem im Voraus festgelegten Preis (Basispreis) innerhalb eines bestimmten Zeitraums (amerikanische Option) oder zu einem bestimmten Zeitpunkt (europäische Option) zu kaufen (Kaufoption) oder zu verkaufen (Verkaufsoption). Da dieses Recht werthaltig ist, kann es monetär quantifiziert werden. Diese Quantifizierung stellt den Wert der Option dar. Analog zu Finanzoptionen stellen Realoptionen die Möglichkeit dar, die aus einer Investition resultierenden Brutto-Cashflows gegen Zahlung der Investitionskosten zu erwerben 

Realoptionstypologie

In Abhängigkeit vom wirtschaftlichen Investitionsprinzip lassen sich mit Lernoptionen, Wachstumsoptionen und Versicherungsoptionen drei Basistypen von Realoptionen unterscheiden.

  • Lernoptionen bieten dem Käufer die Möglichkeit, Investitions- oder Desinvestitionsentscheidungen aufzuschieben, um dann eine Entscheidung aufgrund verbesserter Informationen treffen zu können. Der Realoptionswert (Real Options Value, ROV) ergibt sich somit aus der Handlungsflexibilität, auf neue Informationen warten zu können. Als Beispiel kann der Erwerb von Patenten oder Lizenzen genannt werden, die dem Käufer (Optionshalter) aufgrund der Exklusivität für ein Investitionsprojekt eine zeitliche Handlungsflexibilität einräumen.

  • Wachstumsoptionen ermöglichen dem Käufer, auf Entwicklungen während und nach der Investitionsphase mit der Expansion des Investitionsprojektes zu reagieren. Der Wert der Realoption ergibt sich somit aus der ex-ante Flexibilität, neue Wachstumspotentiale durch Erweiterungsinvestitionen zu realisieren. Beispiele hierfür wären die Aufstockung von Mitarbeitern oder die Erweiterung von Produktionsstandorten bei einer positiven Entwicklung des Marktes.

  • Versicherungsoptionen sindv insbesondere in Branchen mit stark saisonalen bzw. zyklischen Nachfrageschwankungen von großer Bedeutung. Diese Optionen ermöglichen es dem Optionshalter, bei einer ungünstigen Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen operative Änderungen vorzunehmen. Der Optionswert ergibt sich somit aus der Anpassungsfähigkeit des Unternehmens während und nach der Investitionsphase. Beispielsweise kann ein Unternehmen bei einem Investitionsprojekt nach dessen Fertigstellung Kapazitätsänderungen oder gar eine komplette Schließung vornehmen.

Diese Typologie von Realoptionsrechten wird in der folgenden Tabelle systematisiert:

Verfahren der realoptionsbasierten Bewertung

Bei der realoptionsbasierten Investitionsbewertung können grundsätzlich zwei Arten von Bewertungsverfahren unterschieden werden: Analytische Verfahren und numerische Verfahren.

Analytische Verfahren basieren auf der kontinuierlichen Wertentwicklung des Basisinstruments und werden hauptsächlich bei der Bewertung von Finanzoptionen eingesetzt. Der bekannteste Vertreter der analytischen Verfahren ist die Black-Scholes-Gleichung.

Während analytische Verfahren zu einer geschlossenen Lösung führen, liefern numerische Verfahrenstypen keine derartige Lösung.

Denn numerische Verfahren zeichnen sich durch eine Betrachtung von Zeitintervallen der Wertentwicklung des Basisinstrumentes aus. Realoptionen werden überwiegend mit numerischen Verfahren bewertet. Das bekannteste numerische Verfahren ist das Binomial-Modell. Dieses Modell zeichnet sich vor allem durch eine einfachere Anwendung sowie eine größere Transparenz und Nachvollziehbarkeit aus.

Kritische Würdigung

Obwohl der Realoptionsansatz überwiegend bei der Bewertung von einzelnen Investitionsprojekten Anwendung findet, kann er auch zur Bewertung von ganzen Unternehmen eingesetzt werden. Vor allem bei jungen, dynamischen Unternehmen, die wesentlich schneller auf Veränderungen des Marktes reagieren können, erweist sich die Bewertung über Realoptionen als durchaus sinnvoll. Durch diesen Ansatz findet der Wert etwaiger Handlungsmöglichkeiten, wie beispielsweise Produktinnovationen oder künftige Markteintritte, besser Berücksichtigung, als bei Unternehmensbewertungsmethoden auf Basis des Barwertkalküls.

Trotz der Vorteile des Realoptionsansatzes ist dieses Bewertungskonzept in Europa wenig verbreitet, was auf unterschiedliche Ursachen zurückgeführt werden kann. Realoptionsmodelle reagieren sehr sensibel auf etwaige Änderungen der getroffenen Annahmen, was zu erheblichen Wertschwankungen führen kann. Analog zu den DCF-Verfahren können auch Realoptionsmodelle aufgrund der Chashflow-Prognosen und der Ermittlung der Kapitalkosten zu Verzerrungen des Unternehmenswertes führen. Die Schwierigkeit der Schätzungen der Eintrittswahrscheinlichkeiten wirkt sich ebenso erschwerend auf die Anwendung aus. Ein zusätzlicher Faktor, der die Verbreitung optionspreistheoretischer Modelle einschränkt, ist der hohe Informationsbedarf, der für eine valide Bewertung notwendig ist. Für unternehmensexterne Bewerter ist dies oft ein Ausschlusskriterium für die Anwendung von Unternehmensbewertungen auf Basis von Realoptionen.

Wie schon zuvor erwähnt soll der Realoptionsansatz die DCF-Verfahren nicht verdrängen, sondern sie lediglich erweitern und komplementieren. Die Bedeutung der Optionspreistheorie liegt somit weniger in der Ermittlung arbitragefreier Werte für real existierende Unternehmen, sondern vielmehr in der Schärfung des Bewusstseins, dass Handlungsoptionen werthaltig sind und auch als Denkhilfe zur Erklärung werttreibender Faktoren von Börsenkursen einzelner Unternehmen dienen.


Empfohlene Artikel

See this gallery in the original post